Prinz Emil von Schoenaich-Carolath-Schilden
Portrait Prinz Emil
Hamburger Abendblatt vom 5. April 1952 - Redakteur Rudolf Michael
Prinz Emil von Schönaich-Carolath, der Dichter aus Haseldorf
An einem Grab ohne Stein, am Rand der kleinen Backsteinkirche von Haseldorf in der Elbmarsch, werden am Dienstag die Schulkinder dem "alten Prinzen" zu seinem 100. Geburtstag ihre Lieder singen. Die ältesten Bauern im Dorf werden wieder gut von ihm reden. Aber - Hand aufs Herz! - wie viele Hamburger werden in seinen Gedichten lesen, den formschönen romantischen Versen, die der Prinz in seinem weißen Schloß an der Elbe geschrieben hat - eine tiefe Sehnsucht im kranken Herzen?
Zwölf Jahre hat er da drüben im Eckzimmer des Schlosses gesessen und gedichtet, auf dem gedrechselten Drehstuhl, während Cathia, die Frau aus dem Baltenland, auf dem langen, schmalen Flur neben den hohen Gobelins die sechs Kinder zur Ruhe verwies. Zwölf Jahre? Eigentlich waren es nur zehn. Die beiden letzten stahl ihm die tödliche Krankheit. Aber diese zehn Jahre, seit er 1896 das Schloß und Gut am Elbdeich geerbt hatte, waren voll von Liebe, von Liedern und von Sehnsucht. "In Haseldorf bin ich seßhaft geworden. Ohne das Heimweh nach der Sonne verloren zu haben." Freilich, in den Herbstnebeln der Elbmarsch kann man wohl Heimweh nach dem Süden haben.
Von der Mutter hatte er es geerbt. Eine literarisch gebildete Frau, Freundin Garibaldis, des italienischen Freiheitshelden, die den kleinen Emil schon viel mit nach Italien nahm. Später waren es eigene, weite Reisen, immer nach dem Süden. Kein Wunder, daß der dichtende Prinz sein halbes Leben den "großen Griechentraum" träumte, bis er sein Herz völlig dem "Schiffsherrn von Nazareth" verschrieb.
Wenn man die ältesten Bandreißer der Haseldorfer Marsch fragt, sie reden alle gut von ihm. Jedes Kind hat er gegrüßt, und an Cathias Geburtstag im Juli hat er jedes Jahr auf dem runden Rasen vor dem hellen Schloß ein prächtiges Feuerwerk gegeben. Die Lichter tanzten wie Kobolde zwischen Kavalierhaus und Bibliothek (16000 Bände), zwischen Schloß und Pferdestall (wo heute die große Apfelernte lagert).
Manche denken vielleicht noch an die fröhlichen Jagden in den Elbwiesen, wenn die Fasanen und Enten zu Dutzenden hochgingen. Überhaupt, daß der dichtende Prinz nur ein weltfremder Idealist gewesen ist, das glaubt auch der eigene Sohn nicht. Prinz Georg, heute Herr auf Haseldorf. Allerdings, der Dichter stand sein Leben lang im Schatten der eigenen Bescheidenheit. Er suchte das laute Leben nicht. Dabei war Hamburg nicht fern, zwei oder drei Stunden mit der Bimmelbahn. Ihm genügte das kleine Eckzimmer, wo einer der 46 Kachelöfen steht, die der Diener wintertags zu heizen hatte.
Um so mehr kamen die Freunde zu ihm. Der Postbote aus Ütersen brachte die Briefe zu Hunderten. Was in der deutschen Poesie der Jahrhundertwende Klang und Namen hatte, das hat im Kavalierhaus auf Haseldorf besuchsweise gewohnt. Victor Blüthgen, der Dichter der Kindermärchen. Die beiden Karl Busse ("Winterglück") und Bulcke ("Balzereit"), Börries von Münchhausen, der Meister der Ballade. Immer wieder die nahen Hamburger, Otto Ernst, Appelschnuts Vater aus Groß Flottbek. Richard Dehmel, der Grüblerische aus Blankenese, und die beiden Gustav Falke, der Lyriker aus Altona, und Frenssen, der gern mit den kleinen Prinzen platt sprach und einen bellenden Hund angeblich lieber hatte als das Klavierspielen. Monatelang hat auch Rilke mit seiner bildhauernden Frau oben in den kleinen Kavalierstuben gewohnt. Da hat er seinen berühmten Brief an Rodin geschrieben, französisch, wobei ihm der Hausmeister, der frühere Stallbursche aus dem Elsaß, helfen mußte.
Der alte Prinz war ein Christ. Er war es nicht nur mit dem Wort. "Am liebsten hätte er alles verschenkt." Wer will sagen, wie vielen er wohlgetan hat von den Erträgnissen seines Gutes! Ein wahrhaft adliger Besitz mit seinen Obsthöfen und Rinderweiden, auf dessen 8000 Morgen 240 Pächter saßen.
In der Bibel, die Prinz Emil zurückgelassen hat, waren viele Stellen der Menschenliebe angestrichen. Eine seiner schönsten Novellen ist "Der Heiland der Tiere". Er gehörte zu den Mutigen, denen um die Jahrhundertwende das soziale Gewissen heftig schlug. "Ein einsamer Prophet der sittlichen Erneuerung", hat Pastor Seyfarth von ihm gesagt, der selbst an die Reform des Gefängniswesens in Fuhlsbüttel seine ganze Lebensarbeit gegeben hat. "Selbstsucht, Gesinnungslosigkeit und Kastengeist halten offene Tafel", so hat der Prinz damals geklagt. Und dabei liebte er Deutschland so sehr! "Viel lieber in Deutschland in Schmach und Not als in der Fremde weißes Brot."
1908, wiederum im April, ist Emil von Schönaich-Carolath im Haseldorfer Schloß gestorben. Seit langem todkrank, dreimal operiert. Die persönliche Grabrede hatte er sich verbeten, das prunkhafte Mausoleum im Park, gegenüber den mächtigen Linden, unter denen Klopstock seinen Messias zu dichten begonnen hat, abgelehnt. So gab man ihm in der engen Dorfkirche ein einfaches Grab. Bis man ihn vor zwei Jahren wieder herausholte und im Freien bettete mit dem Blick durch die Wipfel von Bäumen.